Eine wunderbare Geschichte

In der Hoffnung, endlich mit dem Schreiben zu beginnen und meine thematische Desorientierung zu beseitigen, buche ich einen Coaching-Workshop. Zwar bin ich unsicher, ob mich dieser Workshop weiterbringt, aber was soll ich sagen? Es gab einen Frühbucher-Rabatt. Also ist die Entscheidung schnell getroffen.

Dort angekommen, hören wir mal, was die anderen Teilnehmer für Ziele haben: Toscana, Wonderland, Muckibude, alles dabei. Da fügt sich meine literarische Traumreise nach Vancouver gut ein. Ein Roadtrip quer durch die Natur, in Begleitung meines Superlovers nach Mexico hin zum großen Familienglück. Klingt doch realistisch, oder etwa nicht?

Als treue Weggefährtin ist meine Hündin Greta bei mir. Sie ist ebenso unsicher, was das Spektakel hier soll. Aber so lange sie hin und wieder ein Leckerli abstaubt, bleibt sie lässig unter meinem Stuhl liegen. Zu unserer großen Freude folgt der Vorstellungsrunde eine Schreibübung. Wir sind Feuer und Flamme und machen uns mit unserem Notizbuch auf in den Wald.

Wir finden NICHTS. Hier gibt es zwar viel Schönes, aber nichts, was mich so sehr anspricht, dass ich darüber schreiben würde. Greta bringt mir laufend Stöckchen und erwartet im Gegenzug einen olympischen Weitwurf. Die Zeit rennt mir nur so davon, also beschließe ich über den kleinen schwarzen Käfer zu schreiben, den eine andere Teilnehmerin während der Vorstellung auf meinem Bein entdeckt hatte. Dieser hatte mich nachhaltig beeindruckt, denn er sah aus wie ein Marienkäfer, nur eben ganz schwarz. Schwarz metallic, wie ich ihn jetzt poetisch in Versform beschreibe:

Ein kleiner flinker Käfer, ein Mariechen ganz in schwarz

Nobel glänzt er schwarz-metallic wie ein wunderschöner Quarz

Schimpft ihn jemand Mistkäfer, ist ihm das ganz egal

Der Wetteifer um Punkte ist nur unnötige Qual

Gern lebt er in Saus und Braus, jagt nach seinen Träumen

Mutig fliegt er hin und her, ohne etwas zu versäumen.

Er ruht an starken Schultern, schaut den Damen unter’n Rock

den Blöden macht er auf den Kopf, denn darauf hat er richtig Bock.

Wenn Du es willst, hört er Dir zu, erfreut sich an Deiner Wärme

Und lädst Du ihm auch Tonnen auf, tut er es trotzdem gerne.

Als treuer Wegbegleiter möcht‘ er wissen, wer Du bist

Erzähl‘ ihm größten Unsinn, er glaubt Dir gern jeden Mist!

Im Vortrag spüre ich Zweifel. Ich höre die schön geschriebenen Geschichten der Anderen, deren Leidenschaft gar nicht das Schreiben ist. Daneben erscheinen mir meine Verse albern. Mir reicht es für heute.

Am nächsten Tag scheint schon wieder die Sonne. Die halbe Nacht habe ich wach gelegen, um Schreibwerkstätten zu recherchieren und will von jetzt an keine Zeit mehr verlieren. Bei einem Glässchen Wein am Abend schließe ich einen Vertrag mit mir selbst: Ich werde schreiben. Meine alten Protagonisten Tom und Teddy werden reaktiviert und Deutschland entdecken. Darauf gebe ich mir mein Wort.

Zurück in Hamburg, noch völlig high von meiner Entschlossenheit, erfahre ich von der Entscheidung einer Kollegin, in den Ferien sechs Wochen durch Frankreich zu reisen. Beneidenswert! Wenn ich mein Projekt noch in diesem Leben fertig stellen will, dann muss ich in meinen Sommerferien wohl schreiben. Äh, nein, ich WILL. Dann kommt mir eine Idee: Ich könnte die Sommerferien natürlich auch zu Recherchezwecken nutzen und Deutschland wirklich bereisen. Aus Tom und Teddy werden zunächst erst einmal Hannah und Greta. Das hätte schon was! Mit der Bahn quer durch Deutschland… Mit Sack und Pack von Bahnhof zu Bahnhof. Klingt doch nicht ganz so reizvoll. Ich könnte mir alternativ ein Auto kaufen, aber eigentlich brauche ich das nicht. Allerdings habe ich kürzlich Geld von meiner Oma geerbt. Und Oma liebte Autos. Jeder neue Freund in meinem Leben wurde mit der Frage: „Und, hat er ein Auto?“, auf seine Tauglichkeit hin geprüft. Lautete die Antwort „Nein“, konnte sie ihre Enttäuschung schwer verbergen. Meist schloss sie ihrer Frage schnell die Nächste an: „Hast DU denn ein Auto?“ „Nein, Oma, ich hab doch die Bahn.“ Dann erntete ich jedes Mal einen sehr mitleidigen Blick: „Reicht‘s noch nicht?“ Jedes Mal lenkte ich mit „Benefits“ des neuen Boyfriends ab: „Oma, der Neue, der hat ‘n Job!!“

Das Erbe meiner Oma in einem Auto anzulegen, erscheint mir eine großartige Idee. Den Sommer über mit Greta im Auto zu verbringen jedoch weniger. Dann kommt mir der Geistesblitz und ein Lächeln breitet sich über mein Gesicht aus: Ich kaufe mir ein Cabrio! Die Lösung kann so einfach sein. Schnell das Netbook aufgeklappt und schon sah ich IHN in einer Kleinanzeige: Meinen Käfer in schwarz metallic. Ich war nur noch aufgedreht . Ein Beetle Cabrio, natürlich. Das muss ich sofort meiner Coachinggruppe erzählen!

Zwei Wochen später unterschreibe ich den Kaufvertrag für mein neues Cabrio, das ich, wie sollte es anders sein, in Großhansdorf, dem letzten Wohnort meiner Oma kaufe. Auf der Fahrt zur Ummeldestelle fahre ich an ihrer alten Hamburger Wohnung vorbei, ihrer geliebten Fuhle und sehe sie zufrieden neben mir sitzen. Das erste Mal in Ihrem Leben fährt sie in einem Auto ohne Dach. Kurz darauf bringe ich die neuen Kennzeichen an:

HH-MT-1607

Hamburg, Martha Templin, geb. am 16.07.

Oma klatscht begeistert in die Hände und strahlt. Wir haben uns ein Auto gekauft. Nun sind wir auf unserer Fahrt quer durch Deutschland wohl zu dritt: Greta, Oma und ich…